Die Pop-Up-Ausstellung HOLY SHIT bringt ein Thema zur Sprache, das sonst eher selten ins Licht der Öffentlichkeit tritt: Unser tägliches Geschäft. Warum es so wichtig ist, über die Endprodukte unserer Verdauung zu sprechen und welches enorme Potenzial in unseren Fäkalien steckt erfahren wir durch HOLY SHIT anhand einer mobilen Kompost-Toilette.

 

Wenn Kot und Urin als Wertstoffe im Sinne der Kreislaufwirtschaft behandelt werden, kann man ihre Superkräfte in vollem Umfang nutzen: Unsere Fäkalien sind wertvolle Ressourcen, die zum Beispiel als Humus oder natürliches Düngemittel in der Landwirtschaft genutzt werden können und so der Erde nützliche und wichtige Nährstoffe zurückgeben. Gleichzeitig bringt ein bewusster und sinnvoller Umgang mit Fäkalien hohes soziales und ökonomisches Potenzial mit sich. Wie genau und was sonst noch so hinter dem täglichen Geschäft steckt erfährst Du in einer Pop-Up-Ausstellung in der Gärtnerei Schullian.


EINE kurze klo-lektüre

Der Stuhlgang ist das Resultat eines ausgefeilten Verdauungsapparates und besteht zu circa drei Vierteln aus Wasser. Der Rest setzt sich zu je einem Drittel aus Bakterien und Resten der Darmflora, unverdauten Pflanzenfasern sowie Reststoffen (Medikamentenrückstände, Farbstoffe, Hormone usw.) zusammen. Der durchschnittliche Stuhlgang eines Europäers wiegt zwischen 100g - 150g für Fleischesser und 300g - 400g für Vegetarier. Er variiert in der Konsistenz von flüssig (Durchfall) bis fest (Verstopfung) und in der Farbe von gelb bis gelb-braun. Anhand der Konsistenz und Abweichungen in der Farbe können Krankheiten bestimmt werden. Außerdem gibt die Zusammensetzung des Kots Auskunft über den Gesundheitszustand, die Darmflora oder auch die Ernährung. Aber abgesehen davon stecken noch viel mehr spannende Fakten hinter diesem unterschätzten Endprodukt unserer Verdauung.

 

Buchtipps zur Vertiefung
Giulia Enders: Darm mit Charm
Florian Werner: Dunkle Materie

#TABU

Nachhaltigkeit ist eines der Themen, das es in den letzten Jahren aus der Nische in die breite Öffentlichkeit geschafft hat. Das Bewusstsein für alternative Ansätze hält in allen Bereichen des Alltags Einzug. Aber wirklich in allen? Nein, denn ein Teil unseres täglichen Lebens entzieht sich noch immer hartnäckig der offenen Diskussion und ist zu einem der letzten Tabuthemen unserer Gesellschaft geworden. Scham, Gewohnheit und Ekel – Emotionen im Kampf gegen das nahezu unbekannte POTENZIAL, das in unseren FÄKALIEN steckt. Denn anstatt das Endprodukt unserer Verdauung im Klo weg zu spülen, könnten wir es als Lösung für viele Probleme unserer Zeit nutzen: Kaputte Böden, schwindende Nährstoff- und Wasserressourcen und die Sanitärkrise hängen eng mit unserem Umgang mit Fäkalien zusammen. Doch diese verschwinden per Knopfdruck aus den Augen und aus dem Sinn und somit auch aus dem allgemeinen Bewusstsein. Um das Tabu zu überwinden und Platz zu machen für Innovation brauchen wir aber als erstes einen offenen, ungenierten Dialog.

 

TED Talk von Rose George: Let's talk crap seriously


#SUPERKRÄFTE

Aus der Zusammensetzung unseres Stuhlgangs ergeben sich ungeahnte und weitestgehend unbeachtete Möglichkeiten; Pilotprojekte zur Wiederverwendung menschlicher Ausscheidungen zeigen das ungenutzte Potenzial der brachliegenden Ressource. Ein Forschungsauftrag der United Nations University bescheinigt ihr ein bedeutendes soziales, ökologisches und ökonomische Potenzial: Denn als Wertstoff in einem Ressourcenkreislauf genutzt, besitzt unsere Scheiße echte SUPERKRÄFTE: Aus ihr können Energie, Wasser, Daten über unsere Gesundheit, neue Materialien, wie zum Beispiel Bio-Kunststoffe oder die wertvollen Pflanzennährstoffe Phosphor, Stickstoff und Kalium gewonnen werden. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des Phosphor-Peaks und Peak Soil von großer Bedeutung für den Nachhaltigen Wandel.

 

Sidefact Phosphor-Peak: Phosphor ist die Grundlage für Düngemittel und eine endliche Ressource, die sich weltweit dem Ende zuneigt. Durch Recycling menschlicher Fäkalien kann Phosphor rückgewonnen werden.

 

Sidefact Peak Soil: Starke Bebauung, Bodendegradation, Bodengefahren, Verlust von Biodiversität und hoher Nutzungsdruck führen zu Landgrabbing, sind globale Bodenprobleme und fordern Bodenerhaltungsmaßnahmen.

 

Entsprechend aufbereitet löst der sogenannte Problemstoff also eher Probleme anstatt sie zu schaffen und liefert Möglichkeiten zum Schutz von Trinkwasser, Biodiversität und den schwindenden natürlichen Phosphor-Vorräten.


#WASSER

Jeder Mensch produziert bis zu 50 Kilogramm Feststoffe und ca. 440 Liter Urin pro Jahr. Die wachsende Bevölkerungsdichte bedeutet eine große Herausforderung für den Abtransport unserer Fäkalien. Das SPÜLKLO ist eine der wichtigsten medizinischen Errungenschaften aller Zeiten. Leider verwandelt es jedoch pro Person im Jahr ca. 16.000 Liter Trinkwasser in bis zu 100.000 Liter Abwasser. Pro Spülgang werden zwischen 4 und 12 Liter Trinkwasser aufgewandt, um die Fäkalien zu entsorgen. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft macht die Toilettenspülung den zweit größten Posten bei der Trinkwasserverwendung im Haushalt aus.
Zwar kann das benutzte Wasser in Kläranlagen wieder aufbereitet werden, im Klärprozess gehen aber die Nährstoffe aus unserem Stoffwechsel verloren. Neben ZEIT und ENERGIE ist auch viel GELD nötig, um das Wasser wieder aufzubereiten. Rückstände wie Hormone, Mikroplastik oder Medikamente sind nur schwer restlos zu entfernen und gelangen so ebenfalls in den Wasserkreislauf zurück.
Als vor circa 200 Jahren in England die Kanalisation und das Wasserklosett eingeführt wurden konnte durch den effektiven Abtransport der Fäkalien die Ausbreitung von Krankheiten und die Kindersterblichkeit immens reduziert werden. Heute ist dieses System in den westlichen Industriestaaten flächendeckend verbreitet und zu einem weltweiten Statussymbol geworden.

In Deutschland stehen Toiletten



#PROBLEMSTOFF

Falsch behandelt ist Scheiße tatsächlich scheiße. PATHOGENE (Schadstoffe, die unser Körper hauptsächlich über den Kot ausscheidet) können in Wasser- und Nahrungskreisläufe gelangen und verursachen so weltweit große humanitäre, ökologische und ökonomische Probleme.

 

Sidefact Sanitärkrise: Noch heute haben 2,4 Mrd. Menschen keinen Zugang zu sicheren Sanitäranlagen; 1,8 Mrd. trinken fäkalienverseuchtes Wasser und circa 1.000 Kinder sterben täglich an den Folgen von Durchfallerkrankungen. Auch die AGENDA 2030 der Vereinten Nationen greift in den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung das Thema Wasser sowie Verbesserung von Hygiene auf und erkennt so die enorme Bedeutung der Sanitärfrage an.

 

Unser westliches Klärsystem kommt aber für wasserarme ENTWICKLUNGSLÄNDER nicht infrage und die zunehmende Auslastung der Kläranlagen durch höherenen WASSERVERBRAUCH und steigende Einwohnerzahl ist auch hierzulande ein Problem. Auch die Phosphor-Belastung von Gewässern führt immer wieder zu Herausforderungen. Die Frage nach sicherem und zukunftsfähigem Umgang mit unserer Scheiße ist daher weiter aktuell. Denn seit knapp 200 Jahren gibt es kaum Innovation im Sanitärbereich und es werden nur vergleichsweise geringe Forschungsgelder bereitsgestellt. Die ausbleibende öffentliche Debatte und Thematisierung erschweren die Forschung nach sicheren, ressourcensparenden und nachhaltigen Alternativen.

 

Am 19. November ist World Toilet Day
www.worldtoiletday.info

#MEHR/WERT

Weltweit bemühen sich Organisationen und Wissenschaft um einen aufgeklärteren und offeneren Umgang mit unseren Fäkalien sowie um unkomplizierte Ansätze für eine
alternative Nutzung. So enstehen Pilotprojekte, die nach Lösungen für die regional unterschiedlichen Problemstellungen suchen.

HOLY SHIT möchte auch in Südtirol Aufmerksamkeit für das Thema schaffen. Ein mobiles Kompostklo, das zum Beispiel Chemietoiletten auf Events ersetzen kann hat viele Vorteile: Komposttoiletten verwenden meist kein Wasser zum Spülen. Somit wird Wasserverschmutzung vermieden und die Wiederaufbereitung vereinfacht. Sie separieren oft Kot und Urin schon im Auffangbehälter, um so die Geruchsbildung durch die entstehenden Bakterien zu unterbinden und die beiden Stoffe leichter wiederaufbereiten zu können. Statt zu spülen, werden die Fäkalien mit Trockenmaterial, wie zum Beispiel Sägespänen, bedeckt. Das bindet Feuchtigkeit und macht unsere Scheiße einfach kompostierbar. Und wer gärtnert weiß, dass Kompost kein Abfall ist, sondern mit der Zeit zu HUMUS und so zu einer wertvollen Ressource wird. Auch unsere Hinterlassenschaften können kompostiert werden: Je nach Hygienisierungsverfahren dauert es zwischen zwei und zehn Jahren bis alle Pathogene durch die bei der Kompostierung entstehende Hitze abgebaut und die Fäkalien vollständig umgewandelt sind.

Im Forstbereich, dem Gartenbau oder im landwirtschaftlichen Sektor in den Boden eingearbeitet kann der umgewandelte Humus einen wichtigen Kreislauf schließen. So gelangen die Superkräfte zurück in einen natürlichen Kreislauf und werden zum MEHR/WERT. Zwar eignen sich Komposttoiletten auch für den privaten Gebrauch oder den Einsatz in Gärten. Die Umstellung vom gewohnten Wasser- zum Trockenklo stellt jedoch eine große Hürde dar. Eine mobile Version bietet daher eine bequeme und einfache Alternative zum Chemieklo im Event-Bereich.

 

Buchtipp zur Vertiefung
Joseph Jenkins: The Humanure Handbook


MOBILE KOMPOSTKLOS FÜR SÜDTIROL?


In Ländern wie der Schweiz, England und Deutschland ersetzen immer häufiger mobile Komposttoiletten auf Events die üblichen Chemie-Klos und schaffen damit eine nachhaltige und saubere Alternative. In Südtirol werden momentan noch keine Kompostklos bei Veranstaltungen eingesetzt.
HOLY SHIT möchte zusammen mit blufink Impulse für eine offene Diskussion setzen und gleichzeitig ein erstes Stimmungsbild in Südtirol einfangen. In Kooperation mit dem lokalen Holzspezialisten Lobis Elements entstand der Prototyp für ein mobiles Kompostklo, wie es in unserer Region eingesetzt werden könnte. Dieses steht der Öffentlichkeit zwischen dem 28.10. und dem 04.11.2017 in einer Pop-Up-Ausstellung im Glashaus der Gärtnerei Schullian zur Besichtigung und Benutzung offen.

 

Wir wollen es ganz genau wissen: Was haltet Ihr davon, wenn man auch in Südtirol zukünftig Komposttoiletten nutzen könnte? Wir freuen uns über Feedback, Fragen und einen regen Austausch!

 

Das Projekt entstand im Rahmen der Abschlussarbeit von Johanna Perret im Studiengang M.A. Ökosoziales Design an der Freien Universität Bozen in Kooperation mit blufink und Lobis Elements

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.


Johanna ist Mediendesignerin und schließt mit HOLY SHIT ihren Master im Studiengang Ökosoziales Design an der Universität Bozen ab. Als Gestalterin ist es ihr wichtig neben visuellen Medien und Kommunikationslösungen auch Rahmenbedingungen für Austausch und Veränderung (mit) zu gestalten. HOLY SHIT ist die Antwort auf die Frage, wie man Aufmerksamkeit und Bewusstsein für Scheiße als Wertstoff schaffen kann und das Thema im lokalen Rahmen etablieren kann.